US Leitzinsen- Gespanntes Warten auf die erste Zinserhöhung nach der Überwindung der Weltwirtschaftskrise von 2008-09

Der heikle Abschied von der "Nullzins-Politik"

Foto: Archiv Visual Finance


Interessante Charts zum aktuellen Thema (PDF):

(1) US Federal Funds Rate 2000-5.2015
(2) US Federal Funds Rate und US-Aktien 1970-5.2015

(3) US Federal Funds Rate und US-Anleihen 1985-5.2015
(4) US Federal Funds Rate und US-Aktienmarkt 1970-5.2015
(5) US Federal Funds Rate und Wechselkurs 1970-5.2015
(6) Differenz 3-Monatszinsen und Wechselkurs 1975-5.2015


Gefährlich hohe Bewertungen

Das Hauptaugenmerk der US-Notenbank, der Federal Reserve (Fed), gilt dem Arbeitsmarkt und der Inflation. Aufgrund ihres Doppelmandates (‚Dual Mandate‘) zielen die amerikanischen Währungshüter gleichzeitig auf eine ‚nachhaltige Vollbeschäftigung‘ (was bezogen auf die offizielle Arbeitslosenrate bei einem Wert um oder leicht über der Marke von 5% als erfüllt gilt) und ‚Preisstabilität‘ (was bezogen auf die Inflation bei einem Wert um die Marke von 2% auf mittlere Sicht als erfüllt gilt).

Gemäss den neuesten verfügbaren Arbeitsmarktzahlen und Inflationsdaten bewegt sich die US-Wirtschaft in Richtung der von der Notenbank angestrebten Zielgrössen. Eine geldpolitische Wende, d. h. eine Anhebung der Leitzinsen, wäre aufgrund der jüngsten Datenpublikationen schon heute (17. Juni 2015) vertretbar (Arbeitslosenquote im Mai 2015: 5.5% / Kerninflation April 2015: 1.8%). Die meisten Ökonomen rechnen allerdings erst mit der Ankündigung einer Zinserhöhung am Schluss der regulären Sitzung des Fed-Offenmarktausschusses (FOMC) vom 16. und 17. September 2015. Seit dem 16. Oktober 2008 befindet sich das Zielband für die sogenannte Federal Funds Rate (US-Leitzinsen) auf dem historischen Rekordtief von zwischen 0 und 0.25%. Dies, obschon der aktuelle US-Wirtschaftsaufschwung nun bereits 72 Monate andauert.

Zum Vergleich: Seit dem Jahr 1854 erstreckte sich die durchschnittliche Expansionsphase über knapp 39 Monate – Die Kontraktionsperioden waren deutlich kürzer und dauerten im Durchschnitt knapp 18 Monate. Unsere Wirtschaftszyklenanalyse legt den Schluss nahe, dass sich die Notenbanken immer mehr zumuten und mit zunehmend massiverem Einsatz geldpolitischer Werkzeuge versuchen, die Wirtschaftszyklen zu verlängern. Dies hat unserer Meinung nach dazu geführt, dass enorme Blasen im Internetsektor und später im Bankensektor entstehen konnten: Sie wurden stillschweigend toleriert. Mit einer frühzeitigeren Anhebung der Zinsen und dem Verzicht auf gefährlich tiefe Zinsen wäre die globale Konjunktur womöglich schleppender verlaufen. Dafür wären die ‚Reparaturkosten‘ infolge von Übertreibungen später deutlich tiefer ausgefallen. Bereits befürchten namhafte Ökonomen, dass der Welt eine ‚säkulare Stagnation‘ bevorsteht.

Wenn man die Kursgrafiken zum US-Aktien- und US-Obligationenmarkt und deren Bewertungen studiert, erkennt man, dass sich an den stark gestiegenen Wertpapierbörsen ein beträchtliches Rückschlagspotenzial aufgebaut hat.

Dass die US-Notenbank unter der Vorsitzenden Janet Yellen die Arbeitsmarktverfassung und die Inflationszahlen mit Argusaugen verfolgt, ist aufgrund der Zielvorgaben verständlich. Allerdings ist es äusserst riskant, den überschwänglichen Wertpapiermärkten eine für die Konjunktur und die Finanzmarktstabilität nur eine untergeordnete Bedeutung beizumessen.

Sollte es einst zu einer neuen, grossen Bewertungskorrektur kommen, sind erhebliche Kosten für die Wirtschaft (‚Feedback Effects‘) vorprogrammiert. Dann kann das Warten auf eingehende Daten (‚Incoming Data‘) wie die Vertreter des Offenmarktausschusses immer wieder betonten, von neuem beginnen. Nachdem die Leitzinsen ab dem 30. Juni 2004 sukzessive erhöht worden waren, dauerte es nämlich nicht lange und die Arbeitslosigkeit begann kräftig zu steigen.

Visual Finance befürchtet, dass die Notenbanken auch dieses Mal kein Glück beim Timing ihrer Geldpolitik haben werden. Immerhin hat die amerikanische Notenbank darauf verzichtet, amerikanische Staatspapiere mit mittleren oder sogar langen Laufzeiten künstlich in den negativen Renditebereich (nominell) zu drücken. Die japanischen, europäischen und auch die schweizerischen Währungshüter, welche dies zugelassen oder sogar aktiv herbeigeführt haben, müssen sich auf eine erhebliche Volatilität und auf massive Kurskorrekturen bei Festzinsanleihen einstellen. Dies ist insbesondere dann zu erwarten, wenn die Inflation wieder weltweit anzieht.

Selbst wenn der neue Zinsanhebungsprozess in den USA sehr behutsam und in kleinen Schritten erfolgt, ist anzunehmen, dass sich einige professionelle Anleger temporär aus bestimmten Märkten zurückziehen werden. Denn, wenn die Musik aufhört zu spielen und der Wein allmählich abgeräumt wird, ist das Ende der Party nicht mehr fern.

Die letzte US-Zinswende nach oben (geldpolitische Straffung) erfolgte am 30. Juni 2004. Die Federal Funds Rate wurde damals um 0.25 Prozentpunkte auf 1.25% angehoben (Link Press Release Federal Reserve 6/2004). Die vorletzte US-Zinswende liegt bereits mehr als zwanzig Jahre zurück. Am 4. Februar 1994 überraschte die amerikanische Notenbank unter Alan Greenspan die Finanzmärkte mit einer Erhöhung der Federal Funds Rate um 0.25 Prozentpunkte auf 3.25% (Link Press Release Federal Reserve 2/1994). Während die Zinsanhebung im Jahr 2004 von der Realwirtschaft und den Finanzmärkten (kurzfristig) gut verdaut wurde, reagierten die nationalen und internationalen Kapitalmärkte sehr nervös und negativ auf den Zinsentscheid von 1994.


«The most important contribution that U.S. policymakers can make to the health of the world economy is to keep our own house in order – and the same goes for all countries…»
 
Stanley Fischer, Vice Chair of the Board of Governors of the Fed, at a conference held in Tel Aviv, 26 May 2015 („The Federal Reserve and the global economy“)


Visual Finance – The Power of Arguments.