Internationale Schuldenkrise

Foto: Peter Lengacher, Berlin, 19.4.2010 (Schulden-Uhr)

The average investor is pretty much at sea when it comes to judging foreign bonds. The experience of a certain bond salesman is typical. When the $ 25,000,000 Government of Switzerland 8% Loan was offered in 1920 he approached a wealthy retired farmer of Swiss birth, confident of a sale of substantial size. To his surprise he found his prospect lukewarm. «Switzerland is a small country.» he said, «its area very mountainous, its soil sterile, The issue doesn’t appeal to me.»

BARRON’S, Buying a Bond, Article VII, What Foreign Bonds are Safe?, 1924

Am 22. September 2009 hat Visual Finance die Risikoeinstufung – nach einer der stärksten Kursrallyes der letzten hundert Jahre – wieder auf die höchsten Stufe ‚Rot’ angehoben (GLOBAL CREDIT RISK OUTLOOK vom 22.09.2009). Unsere Argumentation war vielschichtig. Aufgrund eingehender Analysen waren wir der Überzeugung, dass uns die Rechnung für die giftige Hinterlassenschaft der Bankenkrise zu einem späteren Zeitpunkt in Form von steigenden Budgetdefiziten und gigantischen Staatsschulden präsentiert werden würde. Am 20. Januar 2010 informierten wir Sie darüber, dass viele Staatsanleihen sehr teuer seien und, dass die Kurse von bestimmten Staatsanleihen wie ein Wasserfall in die Tiefe stürzen könnten (INVESTMENT OUTLOOK 2010 vom 20.01.2010 PDF). Dies im Moment, wo beträchtliche Refinanzierungen eingefädelt werden müssten. Ein solcher Ernstfall ist nun mit der Griechenland-Krise eingetroffen. Die Migration der Risiken von unten (Banken) nach oben (Staaten), bzw. die Wahrnehmung dieses Prozesses, ist jetzt sichtbar geworden. Die teils massiven Bonitätsrückstufungen durch Standard & Poor’s (Griechenland, Portugal und Spanien) vom 27. und 28. April 2010 haben die internationalen Anleihen- und Aktienmärkte kräftig durchgeschüttelt. Dies ist ein eindrücklicher Beleg dafür, welche bedeutende Rolle Risikoaspekte für die Entwicklung der Finanzmärkte spielen.

Euro im Stresstest

Die akuten Probleme der Republik Griechenland und anderer EU-Staaten haben zu einem erheblichen Kurszerfall der Euro-Währung geführt (Langfristchart: Wechselkurs CHF/EUR PDF). Wir rechnen mit weiteren, heftigen Währungsspekulationen gegen den Euro; erhebliche Wechselkursschwankungen werden die Folge davon sein. Manche Ökonomen fordern den Austritt Griechenlands aus der Währungsunion, damit das Land über eine Währungsabwertung (mit all seinen Folgen) die Wettbewerbsfähigkeit verbessern kann und gleichzeitig die Stabilität des Euro-Raums nicht länger in Frage gestellt wird. Wir teilen diese Ansicht nicht; zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt! Eine erneute Währungsumstellung wäre mit sehr hohen Kosten verbunden und würde viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Europäische Union, ein als Staatengemeinschaft formiertes Gebilde, unterscheidet sich in mehreren Punkten von Bundesstaaten wie etwa die USA oder die Schweiz. Trotzdem lassen sich die Probleme gewisser EU-Staaten bis zu einem gewissen Grad mit den Schwierigkeiten einzelner Gliedstaaten (USA) bzw. Kantone (CH) vergleichen.

Die EU-Staaten werden solche Krisen aushalten und ‚abwickeln’ müssen. So oder so muss sich die Regierung in Griechenland schmerzliche Reformen im eigenen Land auferlegen. Die jetzige Regierung wird es schwer haben, diese komplizierte und einschneidende Transformation politisch zu überleben. Obwohl ein gewisser Goodwill gegenüber Hellas spürbar ist, würde eine Schulden-Restrukturierung – über die die Anleihengläubiger ihr Votum abzugeben hätten – hochkantig durchfallen, solange harte Sanierungsmassnahmen ausbleiben und die Glaubwürdigkeit nicht in genügendem Masse wieder hergestellt ist.

Die Talfahrt des Euro ist Spiegelbild der Schuldenprobleme im EU-Raum. Eine Wechselkursabschwächung hat allerdings auch einen positiven Effekt für die Euro-Zone: Der Währungszerfall führt temporär zu einer verbesserten Wettbewerbssituation der Euro-Staaten gegenüber anderen Währungsblöcken. Für stark exportorientierte Firmen oder den Tourismus stellt die Währungsschwäche eine willkommene Begleiterscheinung der Krise dar. Von der kriselnden Einheitswährung Euro profitieren die ‚starken’ Länder mehr und die ‚schwachen’ Länder etwas weniger, als wenn jede Nation eine eigene Heimwährung beibehalten hätte. Die Währungsvolatilität wird geglättet.

Foto: Visual Finance (Euro)

Schweiz: Zins-Paradies auf Zeit

Im Gegensatz zu den vielen problembeladenen EU-Staaten hat die Schweiz momentan keine (Re-)Finanzierungsprobleme. Der Schweizer Bondmarkt stellt der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu sehr attraktiven Zins-Konditionen erhebliche Mengen an Kapital zur Verfügung. Die Schweiz ist ein Zins-Paradies! Möglicherweise ist uns dieser Vorteil aber nur auf Zeit geliehen. Im Nachkriegsjahr 1920, in welchem die Lebenshaltungskosten in der Schweiz in rascher Folge immer neue Höchstwerte erklommen, musste sich die Schweiz das benötigte Kapital gegen Bezahlung von rekordhohen Zinsen über eine öffentliche U.S.-Dollar-Anleihe in den USA beschaffen (siehe Zitat oben). Bei der Rettungsaktion im Zusammenhang mit der Grossbank UBS im Herbst 2008 (Übertragung illiquider Vermögenswerte der UBS auf einen Stabilisierungsfonds namens StabFund) organisierte die Nationalbank auch diesmal Kapital in den USA. Diesmal bei der Zentralbank über einen sogenannten Dollar-Franken-Swap: Die Zeit war zu knapp und die Summe zu gross, um die Mittel auf dem Kapitalmarkt zu beschaffen.

Wie lange die Schweiz eine Zinsinsel bleiben wird, hängt von diversen Faktoren ab, die es genau zu verfolgen und gegeneinander abzuwägen gilt. Eine veritable Immobilienkrise, welche die sehr stark gewachsenen inlandorientierten Banken am Ende ihrer gewaltigen Expansionsschritten treffen würde, hätte schwere Folgen für die Schweizer Volkswirtschaft. Die in den Bankbilanzen bereits verbuchten Wertberichtigungen und Rückstellungen sind minim verglichen mit dem Ausleihungsvolumen. Visual Finance hat auf das ungesunde Ungleichgewicht zwischen Sparen und Investieren schon früher aufmerksam gemacht. Eine zentrale Bedeutung spielt der Zins. Erst in den letzten Wochen haben die mahnenden Stimmen, welche vor einer Überhitzung am Schweizer Immobilienmarkt warnen, klar zugenommen.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) steht vor grossen Herausforderungen. Die Interessen der verschiedenen Marktteilnehmer divergieren immer mehr. Das Festziehen der Zinsschraube wird nicht ohne Folgen bleiben. Dabei wird eine restriktivere Gangart der Notenbank, je nach Vermögens- und Verschuldungssituation, die einzelnen privaten Haushalte und Gesellschaften unterschiedlich treffen. Die Kreditprofile der meisten Schweizer Weltkonzerne haben sich in den letzten Jahren verschlechtert. Die Fähigkeit die Folgen neuerlicher Krisen zu absorbieren hat abgenommen. Die Schweizer Wirtschaft ist verletzlicher geworden; vielleicht nicht in einem relativen Vergleich mit anderen Nationen, aber gewiss in einer absoluten Betrachtungsweise.

Der kürzeste Anleihenprospekt der Welt

Mit einigem Erstaunen haben wir festgestellt, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft öffentliche Anleihenobligationen zur Zeichnung auflegt, ohne den Bondinvestoren einen ausführlichen Emissionsprospekt als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung zu stellen. Im von uns entwickelten Konzept Bondholder Value® spielt Transparenz eine wichtige Rolle. Eine Bevorzugung gewisser Schuldner nur ihres Namens wegen ist mit Bondholder Value® nicht vereinbar. Inmitten der internationalen Schuldenkrise ‚nackt’ auf den Kapitalmarkt zu treten, scheint uns etwas gar übermütig. Im Emissionsprospekt verdichten sich wichtige Informationen für die Kreditbeurteilung eines Schuldners. Die Ausarbeitung eines ausführlichen Emissionsprospektes ist mit einigem Aufwand verbunden; doch der Aufwand lohnt sich. Schlecht vorbereitet in eine neuerliche Krise zu schlittern wäre in dieser unsicheren Zeit grobfahrlässig. Die Analyse und Benotung von Staaten ist zum Fokusthema Nr. 1 geworden.

Visual Finance hat zu diesem Thema einen Artikel für die Wirtschaftszeitung FINANZ und WIRTSCHAFT geschrieben. Wir freuen uns, Ihnen diesen hier zugänglich zu machen:

- Teil 1 vom 26. Mai 2010 (PDF)

- Teil 2 vom 29. Mai 2010 (PDF)

Gerne beraten wir Sie im persönlichen Gespräch über aktuelle Anlagethemen. Wir freuen uns auf Sie.

Foto: Visual Finance (Anleihenprospekte)

Visual Finance - The Power of Arguments.